Warum war es uns wichtig? Erinnerungen an die Errichtung des Denkmals
Das ist also die Rückfrage nach unserer damaligen Situation und der damaligen Weltlage. Über die heutige Weltlage sagen viele: So kompliziert und bedrohlich war es noch nie. Andere haben die Erinnerung an Bedrohungsgefühle und Überlebensangst auch damals vor 30 Jahren. Ich halte diesen Vergleich für müßig. Ich möchte also – ohne zu vergleichen – zunächst einfach auf die Rückfrage an die damaligen Initiatorinnen und Initiatoren des Denkmals eingehen: Warum war es uns wichtig?
Dazu ein paar Erinnerungen:
- Seit den 1980er Jahren gab es die Debatte um die Rehabilitierung für Deserteure, die von NS-Gerichten verurteilt worden waren, und für solche Deserteure, die sich als sog. „Kriegsverräter“ oder „Vaterlandsverräter“ dem Kriegsdienst entzogen hatten, ohne gefasst oder verurteilt worden zu sein. Diese Debatte wurde unter z.T. großem emotionalen Druck geführt. Denn einige Deserteure lebten noch – und viele Befürworter der Rehabilitierung hofften, ihnen noch zu Lebzeiten späte Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen; andere hofften darauf, dass sich das Thema erledigt durchs Wegsterben der überlebenden Deserteure. Heute nach 30 Jahren sind beide Sichtweisen andere: Zum einen gibt es so gut wie keine Deserteure mehr. Zum andern ist die juristische Rehabilitierung durch den Deutschen Bundestag in den Jahren 2002 und 2008 auch endlich und endgültig erfolgt.
- Also dies war eine Sache, derentwegen uns die Errichtung des Denkmals wichtig war. Eine weitere waren die aktuellen Kriege und Feldzüge dieser Jahre: Der Zweite Golfkrieg 1991, die sog. Somalia-Mission der UN 1993. Es war insgesamt eine konfliktschwangere Zeit, die ständig neue Kriege gebar, auch z.B. die Jugoslawienkriege ab Anfang der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre.
- Und weiter: Die erste Wehrmachtsausstellung im März 1995, die bis dahin wirkmächtigste Widerlegung der Legende von der „sauberen Wehrmacht“.
- Wirksam war auch die damals noch beträchtliche Nähe der Friedlichen Revolution. In der letzten DDR-Regierung 1990 gab es den Minister Eppelmann, er hatte die Amtsbezeichnung „Minister für Abrüstung und Verteidigung“!
- Auch die Erfahrung, die wir mit der Losung „Schwerter zu Pflugscharen“ gemacht hatten, gehört hierher. Eine Losung, die zum Glück bis heute vielen wichtig und plausibel ist. Dass sie in der Bibel steht und also mehrere tausend Jahre alt ist – das ist eine wichtige Erkenntnis: Es war also keine Parole der DDR-Friedensbewegung nur gegen die NVA, sie meint auch nicht nur Bundeswehr oder Nato, nicht die ukrainische oder die russische Armee. Vereinfacht gesagt: Es gibt keine Armee, die damit nicht gemeint ist: Schwerter zu Pflugscharen!
- Wir taten uns deshalb 1995 auch schwer mit der gleichzeitigen Abwicklung unterlegener Armeen (nämlich der NVA und der Roten Armee) und den z.T. triumphalistischen Ritualen der scheinbaren „Sieger der Geschichte“. Ein Kulminationspunkt dieses Konflikts war im Oktober 1995 der Große Zapfenstreich der Bundeswehr auf dem Erfurter Domplatz. Das war damals der größte militärische Aufmarsch auf einem öffentlichen Platz seit der sogenannten Wende. Und zwar nicht auf einem militärischen Übungsplatz, sondern auf einem der prominentesten zivilen Plätze, die Thüringen hat. Auch dagegen formierte sich damals ein breites Bündnis. Heute sehen wir das Vordringen des Militärs ins zivile Leben und in die Öffentlichkeit nicht mehr nur bei Zeremonien der Uniformierten. Ministerinnen und Minister, die für Bildung, Forschung, Umwelt, Gesundheit zuständig sind, schärfen sichtlich auch gern ihr militaristisches Profil: Sie wollen das Militär in Kitas und Schulen, in Unis und in Social Media sehen. Die neuesten Werbe-Ideen fürs Militär, von denen ich gehört habe, sind ein Netto-Sold von 2.300 € monatlich als Einstieg für Soldaten und kostenlose Fahrerlaubnis.
- Schluss mit dieser Aufzählung. Eines noch: Es gab damals Mitte der 1990er Jahre einen rasanten Anstieg der Zahlen von Kriegsdienstverweigerung. Heute ist das aktuell erneut der Fall; das geht aber in den Schlachtrufen von Kriegstüchtigkeit und den Börsengewinnen von Rheinmetall und Co. unter.
Warum war es uns wichtig, dieses Denkmal zu errichten? Zur Rückfrage nach der damaligen Initiative und ihrem schließlichen Gelingen habe ich ein paar Gedanken gesagt. Warum war es uns nun in diesem Jahr und an diesem Tag wichtig, diese Erinnerung zu begehen: an 80 Jahre Ende des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges, an die Errichtung des Denkmals für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur vor 30 Jahren?
Zum Teil liegt die Erklärung und die Antwort in dem bereits Gesagten. Es gibt ja Einsichten und Erfahrungen in unserem Leben, die immer gültig bleiben. Die uns tragen, die unser Gewissen wach halten, die uns ermutigen, wenn es um uns her unübersichtlich und gefährlich wird. Und wir sind heute immer noch und immer wieder und offenbar mit größerer Dringlichkeit gefragt: Wie steht es um unser Nein und unser Ja zum Krieg?
Schauen wir auf die Sieben hier vor uns, die in Reih und Glied stehen oder marschieren. Auf den Einen, der sich abwendet – ich sehe ihn so, dass er erst in dieser Abwendung, in seiner verneinenden Haltung Individualität gewinnt (oder zurückgewinnt) und eine Persönlichkeit wird. Im offiziellen Titel ist unser Denkmal nur ihm gewidmet – „Dem unbekannten Wehrmachtsdeserteur“. Aber ich möchte nicht gern, dass die anderen nur Statisten sind, etwa gar Negativ-Beispiele im Kontrast zu dem einen Helden. Nein, die Sieben fragen dich und mich genauso wie der Eine. Mein eigener Ort ist ja nicht einfach bei dem Einen. Auch wenn ich persönlich mein ganzes Erwachsenenleben lang Kriegsdienstverweigerer und bekennender Pazifist geblieben bin: Oft bin ich auch einer von den Sieben. Stelle mich brav in die Reihe. Sorge mit dafür, dass es wie geschmiert läuft. Bin Öl im Getriebe der Welt.
Darum: Lasst uns gemeinsam auf die gemeinsame Botschaft des Einen wie der Sieben hören. „Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt.“
Zu diesem Wort von Günter Eich aus seinem Hörspiel „Träume“ möchte ich zum Schluss gern noch den etwas längeren Abschnitt lesen, in dem das Zitat hier auf der Schrifttafel steht:
Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht!
Bleibt wach, weil das Entsetzliche näher kommt.
Auch zu dir kommt es, der weit entfernt wohnt von den Stätten, wo Blut vergossen wird,
Auch zu dir und deinem Nachmittagsschlaf, worin du ungern gestört wirst.
Wenn es heute nicht kommt, kommt es morgen, aber sei gewiss.
Oh, angenehmer Schlaf, auf den Kissen mit roten Blumen,
einem Weihnachtsgeschenk von Anita, woran sie drei Wochen gestickt hat …
Oh dieses weiche Kissen, Daunen aus erster Wahl! Auf ihm vergisst man das Ärgerliche der Welt…
Man kann dagegen nichts tun, wenn einer etwas härter liegt als der andere,
Und was kommen mag, unsere Enkel mögen es ausfechten.
Ah, du schläfst schon? Wache gut auf, mein Freund! …
Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid misstrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!
Wacht darüber, dass eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!
(zit. nach: Günter Eich, Träume. Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig und Weimar 1980, S. 46f.)