• Startseite
  • Das DenkMal
  • Ausstellung
  • Wer wir sind
  • Veranstaltungsreihe

Ausstellung -digital

Desertion im Nationalsozialismus

Zur Zeit des Nationalsozialismus befand sich auf dem Erfurter Petersberg neben anderen Wehrmachtseinrichtungen auch das Kriegsgericht. Damit war der Petersberg in das Netz der nationalsozialistischen Militärjustiz eingebunden. Die diente als Instrument der Abschreckung und zur Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin und »Manneszucht«. Vom Kriegsgericht auf dem Petersberg wurden rund 50 Deserteure zum Tode verurteilt und zum Teil auch hier hingerichtet.

»An der Front

kann man sterben,

als Deserteur

muß man sterben.«

Adolf Hitler, Mein Kampf, Band 2, 1926
Begriffe der Verweigerung und Militärjustiz

Begriffe der Verweigerung und Militärjustiz

Kriegsdienstverweigerung
Als ehrtauglich eingestufte Männer hatten keine möglichkeit, den Kriegsdienst zu erweigern. Einige taten dies dennoch, vor allem aus Glaubens- und Gewissensgründen. Viele wurden pauschal zum Tode verurteilt.

Desertion (Fahnenflucht)
bezeichnet das unerlaubte Entfernen von der Truppe. Ein solches Handeln wurde mit lebenslanger Haft oder dem Tode bestraft und war der häufigste Hinrichtungsgrund. Auch Menschen, die Deserteure unterstützten, wurden hart bestraft.

Wehrkraftzersetzung wurde im August 1939 als neuer Straftat­ bestand eingeführt und war bewusst uneindeutig formuliert.
Insbesondere zum Kriegsende hin konnte bereits eine kritische Äußerung gegenüber dem NS-Staat mit dem Tode bestraft werden.

Um dem eigenen Tod und dem Morden zu entkommen, fügten sich manche Wehrmachtsangehörige vor dem Einsatz oder an der Front selbst Verletzungen zu. 1939 führten die Nationalsozialisten Selbstverstümmelung als schwere Straftat ein, die mit langjährigen Haftstrafen oder der Todesstrafe geahndet wurde.

Wurde ein Todesurteil vollstreckt, waren öffentliche Nachrufe oder Todesanzeigen untersagt.

Juni 1872

Im Deutschen Reich wird das Militär-Strafgesetzbuch (MStGB) eingeführt. Es regelt die Verbrechen und Vergehen von Soldaten und Militärbeamten. Darin geregelt werden Tatbestände wie Kriegsverrat, unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht, Selbstverstümmelung oder Gehorsamsverweigerung. Die Strafandrohungen waren im Vergleich zu anderen europäischen Regeln milder.

November 1918

Am 9. November 1918 wird der Kaiser gestürzt und die Republik ausgerufen.
Im Erfurter Tivoli (in der heutigen Mag­de­
burger Allee) bildet sich ein Arbeiter und Soldatenrat. In den nächsten Wochen werden das Frauenwahlrecht und der Achtstundentag eingeführt und ein Parlament gewählt.

In Reaktion auf die Revolution bildet das konservative Erfurter Bürgertum am Februar 1919 auf dem Petersberg ein antidemokratisches und reaktio­näres Freikorps, in dem frühere Front­soldaten aktiv sind. Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs begrenzen im Versailler Vertrag die Reichswehr auf 115.000 Berufssoldaten.

9. November 1918 | Stadtarchiv Erfurt
Demonstration gegen Krieg und Monarchie am 9. November 1918 auf dem Erfurter Domplatz

22. Februar 1933

In Preußen und anderen Reichsteilen wird eine Hilfspolizei gebildet, bestehend aus Angehörigen der SA, der SS und des antisemitischen und antidemokratischen Stahlhelm. Sie schüchtert politische Gegner ein, verhaftet und foltert sie. Die reguläre Polizei wird von demokratischen Beamten »gesäubert«.

30. März 1933

In einem leerstehenden Erfurter Fabrikgebäude (Feldstraße 18) wird ein wildes Konzentrationslager für politische Gegner des Nationalsozialismus eingerichtet.

1935

Unterhalb des Petersbergs wird ein Denkmal von ehemaligen Angehörigen des in Erfurt stationierten Thüringischen Infanterieregiments Nr. 71 aus dem Ersten Weltkrieg errichtet. Der in Bronze gegossene überlebensgroße Soldat ähnelt dabei optisch einem Wehrmachtsoldaten. 1945 wird das Denkmal demontiert.

Stadtarchiv Erfurt

16. März 1935

Das Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht wird verabschiedet und legt die Grundlage für Aufrüstung und Militarisierung. Das im Mai folgende Wehrgesetz führt die Wehrpflicht wieder ein. Bestand die Reichswehr bis 1933 aus 115.000 Soldaten, so steigt ihre Zahl nun kontinuierlich. 1939 umfasst allein das deutsche Heer 2,7 Millionen Soldaten. In Erfurt werden fünf Kasernen, ein Lazarett und der Fliegerhorst Erfurt-Bindersleben gebaut. 1939 sind in der Stadt über 6.000 Soldaten stationiert.

»Es gab noch nach langem […] Überlegen und Abwägen tatsächlich nur die eine Erkenntnis:
Man muss sich entfernen, wenn man nicht mitschuldig werden will.«

Heinz Riegel, Wehrmachtsdeserteur aus Erfurt

Heinz Riegel wurde 1920 in Erfurt geboren und absolvierte hier eine Banklehre. Nach dem Einsatz im Reichs arbeitsdienst bei Ilmenau wurde er 1939 Soldat. In den Jahren 1942 und 1943 unternahm er von Norwegen aus mehrere Versuche zu desertieren, da er sich nicht am verbrecherischen Krieg der Nationalsozialisten mitschuldig machen wollte. Drei Mal scheiterte er und entging dem Tod nur mit Glück. Schließlich gelang es ihm an der Front, sich von der Truppe zu entfernen und der sowjetischen Armee zu ergeben.

Der 1920 in Erfurt geborene Heinz Riegel wurde 1942 Deserteur. | Archiv Stiftung Sächsische Gedenkstätten/Erinnerungsort Torgau, Sammlung Haase

26. August 1939

Das Strafmaß für Verweigerung des Militärdienstes wird durch neu in Kraft tretende Verordnungen (KstVO und KSSVO) erhöht. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieg gilt, dass die Verweigerung des Militärdienstes als Zersetzung der Wehrkraft mit dem Tod bestraft wird.

Die nationalsozialistische Militärjustiz in Zahlen

Die nationalsozialistische Militärjustiz in Zahlen

Wie viele Männer den Kriegsdienst verweigerten, desertierten oder sich selbst verstümmelten, um sich dem Einsatz als Soldat zu entziehen, lässt sich nicht genau ermitteln. Schätzungen besagen, dass 1–2 % der Wehrmachtssoldaten desertierten. Militärrichter verurteilten insgesamt mehr als eine Millionen Menschen. 100.000 Verurteilte kamen in Zuchthäuser, Konzentrationslager und Strafbataillone.

Im Laufe des Zweiten Weltkrieges ergingen rund 35.000 Urteile wegen Desertion, davon 22.000 Todesurteile, 15.000 wurden vollstreckt. Rund 5.000 bis 6.000 Menschen wurden wegen »Wehrkraftzersetzung« hingerichtet. Hinzu kommen mehr als 3.000 Todesurteile wegen »Selbstverstümme­lung«.

Zum Vergleich: Im Ersten Weltkrieg verhängte die deutsche Militärjustiz nur 150 Todesurteile, 48 wurden vollstreckt. Auf Seiten der westlichen Alliierten waren es in den USA 146, in Großbritannien 40 und in Frankreich 102 vollstreckte Todesurteile.

Allein vom Kriegsgericht auf dem Erfurter Petersberg wurden vermutlich 50 Deserteure zum Tode verurteilt.

22. Juni 1941

Trotz eines Nichtangriffspakts überfällt Nazi-Deutschland die Sowjetunion.
Damit beginnt ein brutal geführter Vernichtungskrieg: Die Bevölkerung der Sowjetunion soll getötet oder zur Sklavenarbeit für Deutschland herangezogen werden. Eroberte Dörfer werden niedergebrannt. Männer, Frauen und Kinder werden ermordet oder sterben an Hunger und Kälte. Bis Kriegsende stirbt auch über die Hälfte der 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen. Insgesamt gibt es auf sowjetischer Seite bis zu 27 Millionen Kriegstote.

April 1945

Am 1. April stoßen US-amerikanische Truppen nach Thüringen vor. Noch am 10. April fordern der Wehrmachtskommandant von Erfurt und der NSDAP-Kreisleiter die Bevölkerung auf, die Stadt nicht kampflos zu übergeben.

Am 11. April erreichen amerikanische Soldaten das Gelände des Konzentrationslagers Buchenwald und finden dort rund 21.000 Häftlinge. In den Mittagsstunden des April befreien Soldaten der US-Army schließlich die Erfurter Innenstadt.

Mit der bedingungslosen Kapitulation, die am 8. MAI 1945 in Kraft tritt, endet der Zweite Welt krieg in Europa. Die überlebenden Opfer der NS-Militärjustiz gelten juristisch als vorbestraft, gesellschaftlich weiterhin als „Feiglinge“ und „Vaterlandsverräter“

Stadtarchiv Erfurt
US-Soldaten am April 1945 in der Erfurter Johannesstraße

Die Debatte um ein DenkMal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur

Im Vorfeld des fünfzigsten Jahrestages der Befreiung vom National­sozialismus wird die Rehabilitierung und Entschädigung von Wehrmachtsdeserteuren 1994/95 von einem breiten Bündnis in Erfurt zum Thema gemacht. Die Forderung lautet: Errichtung eines DenkMals für den unbekannten Wehrmachtssoldaten am Petersberg.
Nach einer kurzen, aber sehr kontroversen Diskussion wird das DenkMal am 1. September 1995 eingeweiht.

»Die offizielle Geschichts­
betrachtung sieht in vielen [Deserteuren] bis heute nicht die ver­antwortungs­­volle Tat.«

Aus dem Aufruf für das DenkMal
Die umkämpfte »Wehrmachtsaustellung«

Die umkämpfte »Wehrmachtsaustellung«

1996 wird im Erfurter Gewerkschaftshaus (heute HSD) mit der Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht die Aufarbeitung der NS-Geschichte fortgesetzt.

Die Ausstellung zeigt Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg: Massaker an Kriegsgefangenen, Partisanen, Juden und anderen werden einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
Die »Legende der sauberen Wehrmacht« ist nicht mehr haltbar. Entsprechend entstehen heftige Kontroversen um die Ausstellung.

In Erfurt sprühen Männer, angeführt vom Rechtsterroristen Manfred Roeder, auf über 25 Metern Länge immer wieder das Wort »Lüge« auf die Ausstellungstafeln. Roeder wird im September 1996 zu einer Geldstrafe verurteilt, im Gerichtssaal finden sich zahlreiche Neonazis, darunter auch Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt,
spätere Rechtsterroristen des NSU.

Eine erste Initiative für ein Deserteurs-Denkmal entsteht Ende der 1970ER JAHRE in Kassel. Es folgen Initiativen wie Reservisten verweigern sich in Bremen (Errichtung eines Denkmals 1986) und in Marburg (1988).

ENDE 1994 nehmen antirassistische und antifaschistische Initiativen, die sich in der Landesarbeitsgemeinschaft Antirassismus/Antifaschismus Thüringen zusammengefunden haben, das Thema auf.

Schon zuvor hatten die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands und die Deutsche Bahn die Funktion der Bahn als Trans­portmittel in die Vernichtungslager in der Berufs­ausbildung behandelt.

Ziel ist die Eröffnung eines DenkMals am 8. Mai 1995, dem 50. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Das DenkMal soll vom Erfurter Künstler Thomas Nicolai und der Jugend der Eisenbahnergewerkschaft gestaltet werden.

Bis FEBRUAR 1995 unterschreiben zahlreiche Menschen den Aufruf für ein DenkMal, darunter viele Prominente und Intellek tuelle aus der ganzen Bundes­republik, u. a. die Schriftsteller*innen Christa Wolf, Gerhard Zwerenz und Ralph Giordano.

9. November 1918 | Stadtarchiv Erfurt
Aufruf für ein DenkMal.

Im FEBRUAR 1995 beschließt der Erfurter Stadtrat, eine Initiative des Europäischen Parlaments zu Deserteuren aus den Streitkräften des ehemaligen Jugoslawien mit­zutragen und sie in Erfurt aufzunehmen.
Tatsächlich wird eine solche Aufnahme trotz engagierter Befürworter*innen in der Stadt nie vollzogen.Im JULI 1995 wird plötzlich die künstle­rische Form des DenkMals vom Kultur­ beigeordneten der Stadt Erfurt und der Kunst­kommission abgelehnt.
Der Beigeordnete für Kultur sagt später der Presse, Thomas Nicolai sei kein Künstler, der Vor­sitzende der Kunstkommission äußert, Nicolais Werke seien keine Kunst.
Der Erfurter Oberbürgermeister Manfred Ruge (CDU) reagiert nicht auf die Bitten der Initiative um einen Gesprächstermin.

Der Erfurter Stadtrat stimmt dann am 22. MÄRZ mehrheitlich für das geforderte DenkMal. Die CDU will stattdessen nun ein Denkmal für den unbekannten Soldaten.

Anfang APRIL 1995 entscheidet die Initiative, dem Gestaltungsprozess mehr Zeit zu geben und verschiebt den geplanten Eröffnungs­termin.

Stadtarchiv Erfurt
Künstler Thomas Nicolai

Zum 50. Jahrestag der Befreiung am 8. MAI 1995 ruft die Initiative nun zu einem Friedenszug auf, an dem sich mehrere hundert Menschen beteiligen.

Der Thüringer Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) sagt am 8. Mai, das Kriegsende sei »eine befreiende Katastrophe für Deutschland« gewesen. Unter den Deser­teuren habe es nicht nur Helden gegeben, sondern auch Menschen, die »ihre Kameraden« im Stich gelassen hätten.

Im Landtag fügt er einige Tage später an, dass manche Deserteure beim Versuch, das eigene Leben zu retten, anderen Schaden zugefügt hätten. Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag wendet sich öffentlich gegen ein DenkMal.

Damit stemple man den zum Verlierer,
»der sich nicht gedrückt« habe.

CDU-Fraktionschef Jörg Schwäblein über das DenkMal
Mitteldeutsche Allgemeine, 28.8.1995

Im JULI 1995 wird plötzlich die künstlerische Form des DenkMals vom Kultur­ beigeordneten der Stadt Erfurt und der Kunst­kommission abgelehnt. Der Beigeordnete für Kultur sagt später der Presse, Thomas Nicolai sei kein Künstler, der Vor­sitzende der Kunstkommission äußert, Nicolais Werke seien keine Kunst.

»künstlerisch
nicht bewältigt«

Urteil der Kunstkommission

Wenige Tage vor der geplanten Eröffnung des DenkMals erlässt der Oberbürger­ meister Manfred Ruge einen Baustopp. Am 28. AUGUST 1995 bekräftigt der Stadtrat jedoch mehrheitlich, dass die Aufstellung des DenkMals erfolgen soll. Die BILD-Zeitung zitiert Manfred Ruge: »Heute schaudert mich«.

Am 1. SEPTEMBER 1995, dem Antikriegstag, wird das DenkMal am Petersberg der Öffentlichkeit über­ geben.

Desertion und Kriegsdienstverweigerung in der Gegenwart

Lehren aus der Geschichte:
Pazifismus oder bewaffneter Widerstand?

»Ich bin glücklich, in diesem
Kriege und in meinem Leben keinen Menschen getötet oder ein Leid zugefügt zu haben.«

Abschiedsbrief von Felix Kaszemeik
(*1914 in Erfurt, am 27.11.1944 als
Deserteur hingerichtet) an seine Mutter, 1944

»Das Nazi-Regime ist ohne Gewalt nicht zu beseitigen. Dies war eigentlich der für mich entschei­dende Grund, wegzugehen und dann auch zu den Partisanen zu gehen und aktiv gegen die SS zu kämpfen.

Ohne Gewalt geht es nicht.«

Ludwig Gehm über seinen Entschluss, zu den
griechischen Partisanen zu desertieren
Der Lange Weg zur Rehabilitierung

Der Lange Weg zur Rehabilitierung

Deserteure galten im Zweiten Weltkrieg als Vaterlandsverräter und Feinde. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus waren
sie weiterhin vorbestraft und blieben als Feiglinge stigmatisiert. Der gesellschaftliche Blick auf die Deserteure änderte sich nur langsam.

Daran hatten lokale Geschichtsgruppen und friedenspolitische Initiativen für
die Errichtung von Deserteurs-Denkmäler seit den späten 1970er Jahren einen wichtigen Anteil. Trotzdem brauchte es
noch mehr als drei Jahrzehnte bis zur nachträglichen Aufhebung der Kriegsgerichtsurteile.

31. OKTOBER 1986

Ein Bericht der Bundesregierung zu den wegen Kriegsdienst­verweigerung, Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung verurteilten deutschen Soldaten des Zweiten Welt­krieges hält daran fest, dass diese Urteile nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen hätten.

31. OKTOBER 1990

In Bremen gründen 37 über­lebende Betroffene die Bundes­vereinigung Opfer der NS-Militärjustiz. Der eingetragene Verein hat den Zweck, für die gesellschaftliche Rehabilitierung und die materielle Entschädigung der Opfer der NS-Militärjustiz einzutreten. Öffentliche Stimme wird der ehemalige Deserteur Ludwig Baumann (1921–2018)

12. SEPTEMBER 1991

Das Bundessozialgericht bestimmt in einem ersten Urteil dieser Art, dass Hinterbliebene der wegen Desertion, Wehr­kraftzersetzung oder Befehls­verweigerung hingerichteten Soldaten eine Opferentschädigung zu bekommen haben.
In dem Urteil wird die NS-Militär­justiz als verbrecherisch und terroristisch bezeichnet, Desertion als Widerstand.

Recht auf Desertion?

Recht auf Desertion?

Das UN-Menschenrechts­komitee und der UN-Menschenrechtsrat haben das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht anerkannt. Es ist Bestandteil des Rechtes auf Gedankens-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 18
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte).

Eine Statistik über Kriegsdienstverweigerung und Desertion in der Welt gibt es nicht, aber in vielen Teilen der Welt ver­suchen Menschen aus unterschiedlichen Gründen, sich dem Militärdienst zu entziehen.

Beispielhaft sei hier der Militär dienst in Eritrea genannt, den eine Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats 2016 mit Sklaverei verglich, da Militärdienstpflichtige u. a. zur Zwangsarbeit herangezogen wurden.

Zu einigen Konflikten wie dem Krieg der russischen Regierung gegen die Ukraine existieren Schätzungen.
So hat die Nicht­regierungsorganisation Connection e.V. im September 2023 eine Analyse vorgelegt, wonach mindestens 250.000 Militär­dienst­­pflichtige aus Russland seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine das Land ver­lassen haben und Schutz in anderen Ländern suchen. Im Dezember 2024 wurde in einem Artikel der Associated Press die Zahl der Deserteure aus der ukrainischen Armee auf zwischen 100.000 und 200.000 Männer geschätzt.1

Die Praxis sieht anders aus:
Seit Februar 2022 haben 5.381 russische Männer im Alter zwischen 18 und 45 Jahren in Deutschland Asyl­anträge gestellt. Bei 3.344 entschiedenen Anträgen wurde in 211 Fällen in irgendeiner Form Schutz gewährt.

Auch Soldaten der Bundeswehr erwarten bei Desertion und Befehlsverweigerung mindestens disziplinarische Maß­nahmen bis hin zu Arrest, Dienstgradherabsetzung und Entfernung aus dem Dienst sowie die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Gehorsamsverweigerung. Bei Fahnenflucht drohen nach Wehrstrafgesetz bis zu 5 Jahren Gefängnis.

  1. Quelle: Connection e.V.; Oktober 2024 ↩︎

21. SEPTEMBER 1994

Der Bundestag lehnt Anträge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ab, die die Rehabilitierung und Entschädigung von Deserteuren des NS-Vernichtungskrieges fordern. Diese Entscheidung ist Ausgangspunkt neuer Initiativen für Deserteurs-Denkmäler.

»Als wir anfingen zu kämpfen, hatten wir die große Mehrheit der Bevölkerung gegen uns«

Ludwig Baumann über den mühsamen Kampf
zur Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure

28. MAI 1998

Der Bundestag beschließt mehrheitlich das Gesetz zur Auf­hebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile. Damit wird fest­gehalten, dass Urteile während der NS-Zeit unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit zustande kamen.

17. MAI 2002

Der Bundestag ändert das Gesetz von 1998 und rehabilitiert bisher ausgeklammerte Personengruppen nun pauschal. Neben den als homosexuell Verfolgten betrifft dies auch die Deserteure. Ein Entschädigungsanspruch entsteht dadurch für die 40 zu dieser Zeit noch lebenden Wehrmachts­deserteure jedoch nicht. Immer noch ausgenommen bleiben diejenigen, die wegen Kriegsverrat verurteilt wurden. Ein Soldat, der desertierte und sich den Alliierten anschloss, gilt so weiterhin als Straftäter.

8. SEPTEMBER 2009

Der Bundestag hebt in einer einstimmig beschlossenen weiteren Änderung sämtliche Verurteilungen wegen Kriegsverrat pauschal auf. Damit erhalten die letzten Personen posthum ihre Würde zurück. Der Widerstand der einfachen Soldaten findet damit endlich seine Anerkennung.

9. JUNI 2010

Zum 15. Jahrestag der Auf­stellung des Erfurter DenkMals ist auf dem Petersberg die Ausstellung Was damals Recht war… Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht zu sehen. In seiner Eröffnungsrede spricht der ehemalige Deserteur Ludwig Baumann über die lange und schwierige Geschichte der Anerkennung der Deserteure als NS-Opfer.

DGB-Biildungswerk Thüringen e.V.
Ludwig Baumann und Pröbstin Elfriede Begrich 2010 am DenkMal in Erfurt

Bis heute gibt es keine Opferrente für Wehrmachts-Deserteure, sondern nur eine Härtefallregelung.

Das DenkMal
Ausstellung
Wer wir sind
Veranstaltungen

gefördert durch

Stadt Erfurt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Veranstaltung einreichen